Kurzgeschichten
Veronika Maria Meier
"Das Kleine kann so groß sein!"
Vroni Perle
Mein Kinderbuch "Glitzerfunkel" ist veröffentlicht und überall erhältlich!
Kurzgeschichten
Veronika Maria Meier
"Das Kleine kann so groß sein!"
Vroni Perle
Hellblauer Himmel strahlte zwischen den hohen Gebäuden der Skyline hindurch. Graue Stahlmasten und dicke Betonplatten formten den Dreh und Angelpunkt, welche die beiden Gleise bildeten. Die gelbe Sicherheitslinie und die schwarzen Verkabelungen rahmten das Bild der Bahnstation ein. Der Geruch von Tee lag in der Luft, gemischt mit dem Aftershave eines vorbeigehenden Passagiers. Unauffällig surrte der alltägliche Straßenverkehr der Großstadt in seinem Ohr. An diesem Morgen hatte er sehr früh Schichtbeginn. Noch war der Blick am Bahnhof in beide Richtungen frei. Im Hintergrund lief die sich immer während wiederholende Musik zur Reduzierung der Anspannung. Eine Melodie aus klingen und klimpern. Die Bahn war noch nicht voll genug, dass er tätig werden musste. So stand er da, aufrecht und erhaben in seinem schwarzen Anzug mit den weißen Handschuhen. Er richtete seine Kappe und beobachtete die Umgebung.
Die nächste Bahn fuhr ein. Allmählich nahmen die Anzahl der Fahrgäste am Gleis zu. Aber es war immer noch nicht voll genug. Er wartete. Die nächste Bahn fuhr ein und wieder hinaus mit den jeweiligen Passagieren. Junge und Alte, in Gruppen oder Einzeln. Er unterhielt sich ein paar Worte mit einem Kollegen. Aber nur kurz, denn der nächste Zug würde bald kommen.
53 Sekunden bis der Zug den Bahnhof erreichen würde. Das zeigte die elektronische Anzeige an. Durch die Lautsprecher ertönte metallisch die Ansage, das heute mit vielen Passagieren zu rechnen sei.
42 Sekunden. Die Fahrgäste werden gebeten den Weisungen des Personals folge zu leisten. Er mochte diese Ansprache. Das machte seine Tätigkeit wichtig.
21 Sekunden. Die Bahn fuhr langsam ratternd ein. Die vorbei gleitenden Waggons waren gut gefüllt. Die Passagiere hatten sich bereits in den Gängen ausgebreitet. Diesmal musste er ran. Er machte sich bereit.
9 Sekunden. Die wartenden Menschen wurden unruhig. Sie suchten einen guten Platz entlang der gelben Sicherheitslinie.
3 Sekunden noch 2… 1… Der Zug blieb stehen und die Türen öffneten sich mit einem langen „Tsch“. Die Fahrgäste strömten hinein.
60 Sekunden Zeit hatte nun jeder bevor der Zug wieder los fuhr. Der Waggon füllte sich zusehends. Die Gäste verteilten sich, so gut sie es vermochten, in jeder möglichen Ecke oder drängten sich zusammen. Dann kamen noch weitere über die Treppe dahergelaufen. Sie wollten auch noch zusteigen.
45 Sekunden. Er begann die Personen, die vor dem bereits vollen Zug warteten, zu positionieren. Sie ließen es bereitwillig zu.
28 Sekunden. Die Frau mit dem Aktenkoffer schaute auf ihr Handy. Sie war nicht konzentriert, bemängelte er. Er schob sie in die kleine Lücke, die am Rand der Tür freigelegt wurde, indem er ein paar andere Gäste nach hinten schob.
16 Sekunden. Die Frau mit dem Aktenkoffer schaute von ihrem Mobiltelefon hoch und blickte ihm in die Augen. Für diesen kurzen Moment stand seine Zeit still. Ein warmes Gefühl stieg aus seinem Bauch herauf und breitete sich in seinem Herzen aus. Er spürte eine Gänsehaut am ganzen Körper vor Aufregung. Diese strahlenden Augen, dieser tiefe Blick! Sollte er…? Fragte er sich, doch er machte ganz automatisch seine Aufgabe weiter, indem er hier drückte und dort. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Was sollte er tun?
9 Sekunden. Sie lächelte ihn an und schob sich schüchtern eine Haarsträhne hinter die Ohren. Ihre Wangen wurden rot. Jetzt musste er schwerer schieben um alle Passagiere hinter die zugehende Tür zu quetschen. Sie war noch da, ganz vorne. Er konnte ihr blumiges Parfüm riechen.
6 Sekunden. Wenn sie jetzt los fährt sehe ich sie nie wieder! Dachte er sich. Sie öffnete den Mund und holte Luft. Sie wollte etwas zu ihm sagen. Die Tür war schon fast geschlossen. Sie schaute ihn an. Er war wie gelähmt. In ihrem Blick sah er, dass es ihr genauso ging wie ihm. Sie hatten keine Zeit mehr.
3 Sekunden, 2… Sie kramte etwas aus ihrer Tasche. Eine letzte Sekunde reichte. Sie konnte gerade noch, auf den letzten Drücker, ihre Karte durch die schmale Öffnung schieben. Mit einem „Tschwup“ schloss die Tür des Waggons. Die Karte fiel sanft auf die gelbe Sicherheitslinie. Ihre Blicke blieben aneinander hängen, während die Bahn langsam Fahrt aufnahm. Es schmerzte den Anderen gehen zu lassen. Aber es blieb die Hoffnung.
Der Zug fuhr aus der Station an den gelben Sicherheitsstreifen vorbei, untermalt von der Musik am Gleis. Er bückte sich und hob die Karte auf. Dann schaute er sie einen Moment lang an, lächelte und schob sie glücklich in seine Jackentasche. Das warme Gefühl in seinem Herzen breitete sich aus zu einem Feuerwerk, dass er bis in die Haarspitzen spüren konnte. Er hatte nicht viel Zeit in diesem Augenblick zu verweilen, denn die Anzeige kündigte bereits die nächste Bahn an.
So sah er in vollen Zügen immer nur noch sie. Wie sie ihn anlächelte, wie sie roch und wie sie strahlte. Sein Herz loderte. Er drückte noch viele Passagiere in die Bahn an diesem Tag, in der stetigen Vorfreude, sie bald wieder zu sehen.
©Veronika-Maria-Meier
Liebe Oma,
ich finde es schade, dass so wenig Briefe geschrieben werden. Deswegen schreibe Dir heute!
Mama hat ein neues Hobby. Sie möchte malen. Ich darf nicht mehr ins Wohnzimmer. Sie möchte in Ruhe kreativ sein. Papa sagt, wir sollen auf sie Rücksicht nehmen.
Papa geht jetzt vor der Arbeit laufen. Dafür muss er sehr früh aufstehen und braucht am Abend seine Ruhe. Wir sollen dann leise sein und Rücksicht auf ihn nehmen.
Meine Schwester und ich finden das doof.
Ich werde mir auch ein Hobby suchen und dann den Anderen sagen, das sie auf mich Rücksicht nehmen sollen.
Dein Enkel
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Liebe Oma,
Dein Brief ist leider zurückgekommen. Ich habe vergessen eine Briefmarke drauf zu kleben.
Mama hat das Malen aufgegeben. Sie will jetzt töpfern. Ins Wohnzimmer darf ich immer noch nicht.
Papa mag nicht mehr früh aufstehen, deswegen fährt er mit dem Fahrrad in die Arbeit. Jetzt müssen wir abends nicht mehr auf ihn Rücksicht nehmen.
Meine Schwester hat eine Liebesbeziehung. Deswegen hängt sie nur noch am Telefon. Sie kichert ganz oft und sagt so was wie „nein Du…“. Das ist mir zu anstrengend. Sie sagt, ich soll auf sie Rücksicht nehmen.
Mein neues Hobby ist, einen Platz zu suchen, wo ich keine Rücksicht nehmen muss.
Dein Enkel
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Liebe Oma,
ich hatte eine Briefmarke drauf geklebt, aber leider war die Adresse falsch. Ich verstehe jetzt auch, warum so wenig Briefe geschrieben werden. Aber ich gebe nicht auf!
Mama hat das Töpfern aufgegeben. Sie sagt, das macht zu viel Dreck. Wenn ich mit Schlamm im Zimmer spiele, ist sie sehr unzufrieden. Das hätte ich ihr also auch gleich sagen können.
Papa fährt immer noch mit dem Rad. Manchmal hat er einen Platten, dann muss er nach Hause schieben.
Meine Schwester hat Liebeskummer. Ihr Freund hat mit ihr Schluss gemacht. Leider telefoniert sie nun ständig mit ihrer besten Freundin.
Mein neues Hobby ist Beobachten. Ich schaue mir meine Familie an, wie sie jeden Tag etwas anderes wollen.
Dein Enkel
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Liebe Oma,
ich verstehe auch nicht, warum die Post sich so viel Arbeit mit mir macht. Diesmal ist der Brief zurückgekommen, weil ich zwei Blätter im Umschlag hatte und das Porto nicht gereicht hat.
Mama hat beschlossen, dass Zeit mit uns ihr neues altes Hobby ist. Jetzt spielen wir zusammen im Wohnzimmer. Das find ich toll!
Papa hat sich neue Reifen gekauft, die nicht kaputt gehen. Er ist sehr glücklich damit und wir machen gemeinsame Fahrrad-Ausflüge. Das find ich super!
Meine Schwester hat einen neuen Freund, der meldet sich immer bei ihr. Das findet sie gut. Ich finde das nervig. Aber so ist wohl junge Liebe und ich nehme darauf Rücksicht.
Ich habe ganz viele Briefmarken auf den Umschlag geklebt. Langsam kenne ich mich aus.
Dein Enkel
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Lieber Enkel,
vielen Dank für Deine Briefe. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Zu wenig Briefe werden geschrieben, denn zu schnelllebig ist die Zeit geworden. Schreibe mir gerne wieder, denn es gibt kaum eine schönere Freude, als einen handgeschriebenen Brief aus dem Briefkasten zu holen.
Deine Oma
©Veronika-Maria-Meier